G8-Gipfel in Genua

In Gedenken und im Kampf!

Heute vor 22 Jahren, am 20. Juli 2001 fand der G8-Gipfel in Genua statt – ein Tag, der durch Brutalität und einem Mord an einem Demonstranten bis heute zur Mahnung bleibt. In Gedenken und im Kampf vereint, wollen wir zum Jahrestag beleuchten, was damals geschah und wie das Geschehen einzuordnen ist.
Rückblick:

Die mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt treffen sich zu einem G8 Gipfeltreffen in Genua (Italien). Zu einem Zeitpunkt, in dem die Regierung bestehend aus Berlusconi und den Neofaschist*innen (Allianca Nationale) die Zügel der italienischen Politik in ihren Händen hält. Da Antikapitalist*innen und Linke aus der ganzen Welt sich angekündigt hatten, verhängt die italienische Regierung höchste Alarmbereitschaft der Polizei. Insgesamt wurden ca. 20.000 Polizist*innen sowie Vertreter*innen des italienischen Militärs in die Hafenstadt beordert. Ein Aufgebot der Unwirklichkeit. Ausgerüstet gleich einer Armee. Ihr gegenüber stehen schätzungsweise 300.000 Demonstrierende für eine gerechte Welt ohne Hunger, Krieg und Ausbeutung. Der Gipfel beginnt zunächst mit Märschen durch die Stadt. Teils friedlich, teils wütend über die Unrechtmäßigkeit des Gipfeltreffens.
Genua war für den Zeitraum der Veranstaltung
in drei Zonen eingeteilt worden. Eine innere rote
Zone um den Palazzo Ducale, in welchem die Tagung abgehalten werden sollte. Darum eine gelbe Zone, um einen Sicherheitsabstand zu den Protestmärschen zu wahren, der mit Zäunen die dritte Zone begrenzte. Auf die gelbe Zone zusteuernd, nahmen die Märsche ihren Lauf. Noch ohne Einschreiten der Behörden. Wenig später allerdings kam es zur enormen Polizeigewalt: Zunächst am Piazza Manin. Trotz erhobener Hände wurden die Protestierenden dort niedergeknüppelt. Wenig später griffen eine Vielzahl Polizist*innen den Hauptzug der Demonstration am Corso Torino an. Diesmal mit Rauchbomben, welche Tränengas versprühten und eben jener Gewalt, die später allgemein in große Kritik gerät.
Aus dem Video- und Funkmaterial von damals ergibt sich außerdem: Befehle wurden bewusst missachtet und es gab keine nachvollziehbaren Gründe zur Gewaltan-wendung, deren Ausmaß ohnehin neue Dimensionen erreicht.
Die Gewalt nimmt ihren tragischen Höhe-
punkt als der 25-jährige Carlo Giuliani
am Piazza Alimonda von einem 20-jährigen Carabinieri erschossen wird. Aus unmittelbarer Nähe in den Kopf. Anschließend reglos auf der Straße liegend, zweimal von einem Polizeifahrzeug überrollt, zertrümmern Soldat*innen schluss-endlich mit einem Stein seinen Schädel.
Warum es zu einer solchen Tat überhaupt
kommen konnte:

Innerhalb der italienischen Polizei bestand eine
massive Schürung von Gewaltbereitschaft. Ein weiterer Faktor war die Sicherheit, welche sie von der Regierung und Vorgesetzten vermittelt bekamen: der Sicherheitsberater von Allianca Nationale war selbst ehemaliger Polizist sowie Vertreter der Polizeigewerkschaft. Somit zeigt sich auch hier eine massive Rückendeckung durch die Regierung. Das Ausmaß der polizeilichen Gewaltexzesse war wohl kalkuliert. Die „Sicherheits“behörden hatten vorsorglich 200 Leichen-säcke und einen Kühlraum organisiert. Ihr Ziel und das des durch sie verteidigten Kapitals war es, linke, emanzipa-torische und antikapitalistische Bewegungen, mit größt-möglicher Wucht einzuschüchtern und dauerhaft zu schwächen. Ihre Methoden, Willkür und völlige Enthemmung führten zu einem tagelangen, rauschhaften Pogrom. Sie wollten weder Gefangene noch Informationen. Ihr schlichtes Interesse war eine Vielzahl an Menschen möglichst schwer zu verletzen ohne jeden Hauch von Rücksicht. Sie erreichten ihr Ziel mühelos. Die barbarische Behandlung wurde von faschistischen Parolen und Nazi-Verherrlichung untermalt.
Nach dem Mord:

Doch nach dem Tod Carlos hörten die Gräuel-
taten nicht auf. Die zunehmende Gewalt gipfelte auch in der Räumung der Diaz-Schule. Der Gebäudekomplex diente vor und während der Proteste als Koordinationszentrum und Schlafmöglichkeit für Demonstrierende. Von der Nacht des 21. auf den 22. Juli 2001 tauchte die Polizei mit einem massiven Aufgebot vor der Schule auf. Was später oft als „chilenische Nacht“ bezeichnet wurde, forderte 81 Verletzte, wovon 63 Menschen schwere Verletzungen davon trugen.
Die Rechtfertigung des Einsatzes: man habe Material und Täter*innen des „Black-Blocks“ festsetzen wollen. Material, welches beispielsweise in Form von Molotowcocktails von Carabinieris selbst in der Schule versteckt worden war. Später wurde zudem noch bekannt, dass dort festgenommene Personen, Opfer von Folter und Schikane wurden. Taten, die sogar vom Europäischen Gerichtshof als nicht verhältnismäßig eingestuft wurden.
Zu den Gerichtsurteilen selbst:

Zu teilen erstritten sich klagende Betroffene einen
Schadensersatz zwischen 45.000 und 55.000 Euro.
Der Mord an Carlo Giuliani wurde durch die Carabinieri selbst untersucht. Es gab also nie eine unabhängige Ermittlungsstelle, was vermutlich auch maßgeblich dazu beitrug, dass der Mörder des 25-jährigen straffrei blieb.

Weiterhin blieb bei einer Vielzahl der angeklagten Beamten eine Strafe aus. Einige wenige bekamen eine Haftstrafe, darunter zum Beispiel auch ein hochrangiger Polizeifunktionär. Diesem wurde eine Haftstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten auferlegt, aufgrund von Amtsmissbrauch, Gewalt sowie Misshandlung. Darin zeigt sich die schon im Vorhinein bekundete Schutzhaltung des Staats.

Im Gegenzug waren es zehntausende Gerichtsverfahren, die über italienische Linke hereinbrachen. Eine massive Schädigung der eigentlich starken linken Bewegung Italiens.
Zum Faschismus:

Aus Genua schien die ungeschminkte Fratze des
Faschismus hervor. Nicht allein die Verherrlichung und unbeschränkte Anwendung roher Gewalt durch staatliche Organe, sondern vor allem die Billigung und Duldung derselben durch eine breite Masse der Gesellschaft sind zwei Kernelemente fortgeschrittener Faschisierung. Drei Tage lang trat sie offen zu Tage, in den 22 Jahren seither hat sie weitere Schritte gemacht. Zu den erklärten Feindbildern von damals sind neue hinzugekommen, die mit immer stärker aufgerüsteten Apparaten abgewehrt werden. Nicht nur Italien, alle EU-Staaten häufen Jahr für Jahr mehr und mehr Instrumente der Überwachung und Repression an. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie der verbliebenen, spärlichen demokratischen Kontrolle vollständig entzogen werden. Die Breite und Entschlossenheit der faschistischen Massenbasis einerseits und die Entschlossenheit des Widerstands andererseits entscheiden über ob und wann. Seit Genua wissen wir, dass alle Gesetze, bis hin zu den Grundrechten, auch in modernen bürgerlichen Demokratien außer Kraft gesetzt werden, wenn nur einige wenige Mitglieder der Exekutive dies verabreden.
Auswirkungen auf Heute:

Der G8-Gipfel Genuas ist ein Symbolbild für
Polizeigewalt und derer Legitimierung. Unverzeihbar bleibt, dass ein Mensch durch die Kugel eines Polizisten stirbt. Dass es nicht zur Aufarbeitung sondern dem Vergessen in kürzester Zeit kam, bleibt genauso skandalös. Doch genau diese Muster setzten sich fort.
Ein Ereignis wie dieses gilt nur als Paradebeispiel für eine Vielzahl weiterer Morde durch die Polizei. Und nicht nur für die Morde, sondern genauso für das Vertuschen und die ständige Sicherheit der Polizei, für ihr Fehlverhalten nicht belangt werden zu können.

Es braucht nicht nur einen Wandel der Exekutiven. Es braucht nicht nur unabhängige Aufarbeitung der polizeilichen Gewalttaten. Es braucht eine Abschaffung der bestehenden Strukturen. Für eine Welt ohne Polizei und Unterdrückung.

CARLO VIVE!