Als Antifaschistischer Konsens Freiburg führten wir ein Interview mit unserem Genossen Smily – einigen ist sein Fall sicherlich noch in Erinnerung: 2012 landete er 10 Monate in Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim. 2013 entschloss er sich, eine weitere Haft nicht anzutreten. Er entschloss sich, in den Untergrund und in die Ungewissheit zu gehen, um dem Staat und der Repression einen Strich durch die Rechnung zu machen. Seine Erfahrungsberichte wurden für uns und viele andere Symbol der Hoffnung, Symbol des Widerstandes und der konsequenten antifaschistischen Antwort.
Mit Sicherheit fokussieren sich die meisten Fragen an dich oftmals auf die Straftaten, die dir vorgeworfen werden. Diese sind zum einen bereits in Broschüren beschrieben worden und damit nachlesbar, zum anderen wollen wir aber auch einen anderen Fokus setzen. Daher sei nur kurz gesagt: Smily ist Antifaschist. Er wehrte sich gegen Faschisten, gegen den Staat und seine Behörden. Er demonstrierte und kämpfte damals wie heute für eine Welt, frei von Ausbeutung, für eine Welt, die den Kapitalismus überwindet, für eine Welt, in der wir frei sind – und verlor dafür seine eigene Freiheit. Er landete in Untersuchungshaft. Er holte sich die Freiheit zurück, als er einen mehrjährigen Haftantritt nicht antrat. Er durchschaute, dass es nur eine Freiheit gibt – die Einsicht in die Notwendigkeit. So entschloss er sich zu seiner Politik, so macht er sie bis heute. Dabei wählte er Wege, über die wir mehr erfahren wollen.
2012 kamst du in Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim. Im Stockwerk 6 saßt du nur ein Stockwerk unter dem Ort, an dem Mitglieder der RAF starben. Ein klares Zeichen an dich, aber auch an andere Linke. Du warst zu diesem Zeitpunkt bereits einige Zeit politisch aktiv – hattest du dich mit dem Thema Gefängnis beschäftigt oder war es außerhalb deiner Vorstellungskraft?
Nicht ganz außerhalb, aber ausreichend beschäftigt hatte ich mich damit bis zu meiner Inhaftierung, die ja dann auch etwas überraschend für mich kam, leider nicht.
Zu deinem bisherigen Leben gehörten viele Hürden- deine Erfahrungen reichen über Prozesse, Untersuchungshaft, Untergrund bis hin zum Aufenthalt in einem Abschiebeknast. Was kannst du anderen Antifaschist:innen raten, die eventuell gerade einen Prozess haben: Kann man sich auf das Gefängnis vorbereiten und wenn ja, wie?
Ja, kann man. Zumindest soweit, dass man nicht ganz ins kalte Wasser springen muss, so wie ich damals. Und dazu sollte man Verwandte, Genoss:innen und Freund:innen gleich mit vorbereiten. In dem man ihnen z. B. sagt, dass sie immer Briefmarken mitschicken sollen, wenn sie schreiben.
Denn abgesehen davon, dass Ihr ja auch die Möglichkeit braucht zurückzuschreiben, können Briefmarken als Zahlungsmittel innerhalb des Knastes sehr dienlich sein. Eine linke Tageszeitung zu abonnieren wäre auch gut, damit man da drinnen nicht nur NATO-Propaganda konsumieren muss. Die Bücherfrage sollte man dann auch klären, da es ja meistens eher weniger gewünscht ist, dass Gefangene politische Bücher lesen. Hier muss man oft Lücken im Knastsystem finden. In Stammheim war das so geregelt, dass man nur von einem bestimmten Verlag Bücher bestellen konnte, der nur mäßigen Lesestoff zu bieten hatte. Da haben die Genoss:innen draußen dann gewünschte Bücher von mir, die nicht im Angebot waren, einfach über den Verlag bestellt und mir über selbige dann zukommen lassen. Das hatte funktioniert. So hatte für die Anstalt der Absender gestimmt und sie mussten mir gewünschte Bücher (nicht immer wohlwollend) aushändigen. Sich einen Fitnessplan erstellen für Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, die man auf kleinstem Raum machen kann, um Körper, Geist und Seele im Einklang zu behalten, macht auch Sinn. Nachts wird man da besser schlafen können und tagsüber auch besser drauf sein. Man muss sich eine Struktur schaffen, wo man sich selbst überlassen ist. Einen Unterstützer:innenkreis aus politischen Kontakten zu gründen, der sich dann im Laufe der Haftzeit auch um einen kümmert, wäre sehr ratsam. Texte von anderen Gefangenen lesen, die das alles schon mitgemacht haben, um das Knastsystem besser zu verstehen und Überlebensstrategien für die Haftzeit kennenzulernen. Kontakte zu Ex-Gefangenen herstellen, die schon in der gleichen Anstalt waren, und diese befragen. Jeder Knast hat intern auch nochmal andere Regelungen als andere Anstalten.
Nach deiner Erfahrung in Untersuchungshaft bliebst du politisch aktiv, bald standen neue Prozesse und ein neues Urteil an, dem du Widerstand entgegenbrachtest. Wie kam es dazu, dass du dich 2013 entschlossen hast, nicht noch einmal ins Gefängnis zu gehen und stattdessen in die Illegalität?
Ich wollte mich den Mühlen des Repressionsapparates entziehen und den Mythos der Allgegenwart des Systems zerschlagen. Es zumindest versuchen. Zu verlieren hatte ich ja dann auch nicht mehr viel. Mein Studium war im Eimer und in jedem Fall wieder ein geschlossener Vollzug für mich vorgesehen. Ich hatte nur noch meine Freiheit, die ich mir erkämpfen wollte. Ich wusste, dass sie mir hierfür keinen Nachschlag geben dürfen und hatte dann auch nur noch die Differenz von 3 Jahren +/- geschlossenem Vollzug (das war noch nicht ganz klar) und 5 Jahren Verjährungsfrist auf der anderen Seite für die Delikte, die sie mir vorwarfen, vor Augen und die Einsicht, dass einfach nur ein weiteres Exempel an mir statuiert werden sollte, um andere abzuschrecken. Diesen Angriff wollte ich ins Leere laufen lassen. Der Repression zum Trotze.
Dein Fall hat gezeigt, dass es möglich ist, der Repression zu entfliehen. Im Ausland unterzutauchen klingt mit Sicherheit viel einfacher als es in Wirklichkeit ist. Was ist deine Erfahrung, wo liegen Schwierigkeiten, worauf gilt es zu achten?
Die Frage der Finanzierung sollte eines der ersten Dinge sein, die geklärt werden müssen. Das wird gerade anfangs auch kaum anders möglich sein. Und man sollte sich bewusst sein, dass neben der Frage der Finanzierung noch ganz andere Dinge auf einen zukommen, mit denen man umgehen muss. Eine andere Sprache und Kultur, mit der man lernen muss zu leben und sich dementsprechend anzupassen, ist keine einfache Sache. Ein Dach über dem Kopf zu haben. Dort aber auch ständig bereit sein, sofort wieder seine Koffer zu packen, wenn irgendetwas komisch wird. Wenn möglich, nur Seitenstraßen nutzen, statt belebter Hauptstraßen. Nicht immer in die gleichen Supermärkte zum Einkaufen gehen usw. Die Telefonnummer öfters wechseln. Sich von Selfies und Gruppenbildern fernhalten. Vor Ort einen überschaubaren, eingeweihten Unterstützer:innenkreis schaffen (am besten politische Kontakte). Und bei all dem Druck gleichzeitig versuchen, unauffällig zu bleiben und vor allem cool. Falls man doch mal auf einem Selfie landet o. ä. dann auch nicht gleich einknicken. Auch mit Mut zur Lücke muss man an die Sache herangehen. Man wird da wohl auch nur schwer alles 100%ig perfekt machen können. Eine glaubhafte Story erfinden, die man neugierigen Leuten dann kurz hinwerfen kann, wenn diese sich wundern was man so lang in ihrem Land macht. Und ganz elementar: Einen anderen Namen/Spitznamen verwenden, unter dem einen die Leute dann kennen.
Du sprachst immer wieder von Solidarität. Sie ließ dich durchhalten, aber war auch der Antrieb, der deine Politik und deine Entscheidungen erst möglich machte. Diese Solidarität aufzubauen, muss unser aller Ziel sein. Wie haben deine Genoss:innen und du es geschafft?
Das Konzept von Solikreisen gab es ja schon, das war mein Glück. Einer wurde wenige Monate vor meiner Verhaftung gegründet, als ein Genosse zuvor schon denselben Hochsicherheitstrakt von innen sehen musste, nachdem man ihm morgens vor dem Bäcker aufgelauert hatte, um ihn von dort aus direkt gleich mitzunehmen.
Antirepressionsarbeit kannten wir also schon, mit ihr wurde die Solidarität noch sichtbarer.
Ansonsten hatte ich in beiden „Lebensphasen“ vielfältige Solidaritätsbekundungen in allen Formen. Darauf habe auch ich mich immer wieder erkenntlich gezeigt, indem ich z. B. Grußwörter schrieb, die auf Demos oder Kundgebungen vorgelesen wurden und dort den Genoss:innen vor Ort Kraft gab. Ich zeigte damit offen, dass ich immer noch auf freiem Fuß war. Da hatte ich dann oft das Gefühl, dass die Soliarbeit sehr positive Wechselwirkung hervorbrachte. Was ich bekam, wollte ich auch immer in irgendeiner Form zurückgeben. Mir ist bewusst, dass das alles ein extrem hoher Aufwand für meine Genoss:innen war und dafür bin ich sehr dankbar.
Die radikale Linke ist stets von Repression betroffen. Sie dient der Zermürbung unserer Genoss:innen und der Abschreckung neuer Aktivist:innen. Beides sind zwei wichtige Punkte, denen wir trotzen müssen. Wie gingst du mit Isolation, Zweifel und Ängsten um? Wie bliebst du standhaft und politisch?
Ich habe mich nicht verrückt machen lassen und begriffen, dass Repression uns als radikale Linke immer betreffen wird. Inwieweit sie uns aber politisch und persönlich dann tatsächlich trifft- oder gar auf den Boden wirft- entscheiden immer noch wir selbst. Isolation durchbrechen. Zweifel und Ängste abbauen, indem man die Situation akzeptiert und einfach das Beste draus macht. Gegenmacht stetig aufblitzen lassen, oder für ein stetiges Aufblitzen von Gegenmacht Sorge tragen. Sich das Verhältnis von Revolution und Konterrevolution verinnerlichen. Wer soll es denn sonst machen wenn nicht wir? Jene, die uns aus ihren bürgerlichen Wohnzimmern heraus kritisieren? Bestimmt nicht. Die konfrontative Auseinandersetzung mit dem Staat eingehen. Dabei eigene Stärken entwickeln und unsere Strukturen und politische Handlungsfähigkeit erhalten. Die Antirepressionsarbeit zu einem Teil des politischen Selbstverständnisses machen. Kontakte zu Genoss:innen im Ausland aufbauen und internationale Solidarität leben.
Auch momentan befinden sich Antifaschist:innen nicht nur in Prozessen und Haft, sondern auch einige im Untergrund. Wie können wir uns als Bewegung für sie stark machen? Wie können wir nicht nur Zeichen setzen, sondern für sie kämpfen?
Indem wir den Kampf weiterführen, zeigen wir, dass sie nicht vergessen sind und sie unterstützen wo wir können. Egal wo wir sind und egal in was für einer Form.
Wir luden dich letzten Monat auch für deinen Vortrag „Haftantritt ausgesetzt“ ein, den du bei uns in Freiburg hielst. Dabei zeigtest du uns viele Einblicke in deine Geschichte und Politik- wir lernten nicht nur mehr über Antirepressionsarbeit, sondern auch den Menschen hinter der Geschichte kennen. Besonders wertvoll waren dabei für uns auch kleinste Anekdoten, die dir Kraft gaben oder sonst Bedeutung für dich hatten. Möchtest du auch hier eine mit uns teilen?
Gerne. Ich erzähl mal aus beiden „Lebensphasen“ eine 🙂 Wir waren gerade auf einer 4-er-Zelle im Hochsicherheitstrakt in Stammheim untergebracht, wo wir vom Fenster aus Blick auf den großen Hof der arbeitenden Gefangenen hatten. Dort hatten die Knastbeamten abends immer noch sämtliche Ecken mit Schäferhund zusammen nach Drogen o.ä. absuchen lassen. Einer der minderjährigen Gefangenen im Stockwerk über uns schrie dann:
„Hey!“ zu einem der Knastbeamten.
Dieser schaute dann erst mal etwas verdutzt in unsere Richtung und versuchte zu verstehen, aus welcher Zelle gerufen wurde. Dann ließ er seinen Schäferhund weiter Ecken und Kanten des Hofes abschnuppern, als der minderjährige Gefangene von oben wieder rief:
„Hey, dich kenne ich doch!“
„Woher kennst du mich denn bitteschön? “, fragte der Knastbeamte.
„Von Bauer sucht Frau!“, antwortete der minderjährige Gefangene, und der gesamte Knast brach in Gelächter aus.
Der Beamte winkte nur ab und entfernte sich in das Gebäude.
Einer von vielen kollektiven Momenten im Knast, den ich gern auch in meinen Vorträgen zum besten gebe.
Hier noch einer aus meiner Zeit in der Illegalität:
Also, wir waren damals auf einem Fest in einem Roma- und Sintiviertel. Das Fest dort gibt es schon lange und findet jedes Jahr im Frühling statt. Neben den Menschen, die dort leben und ihre traditionelle Musik auf der Straße spielen, finden sich hier auch immer wieder verschiedenste linke Gruppen ein, die dem Fest beiwohnen. Nun war ich dort auch mit einer Gruppe ansässig und habe mit den Leuten gefeiert. Gewöhnungsbedürftigem Lärm war man da schon ausgesetzt, das muss man zugeben. Und wenn man sich da mal am Bürgersteig niederließ, um etwas zu rasten, dann dauerte es meist auch nicht lange, bis irgendwelche Musiker:innen mit Trommeln, Flöten oder Gitarre zu einem kamen, die aufspielten und dann Geld von einem wollten. Obgleich es manchmal anstrengend war, wenn die Musiker:innen dann doch recht nah an mein Ohr kamen mit ihren Instrumenten und dann aufspielten – was mich manchmal erschreckte – war mir doch stets bewusst, dass ich hier zu Gast in deren Viertel bin und nicht umgekehrt. Jedenfalls kam dann in so einer Situation einer von wenigen Ordnungshütern, die an dem Tag dort nicht viel zu tun hatten (und nur blöd rumstanden), auf mich zu und fragte mich, ob mich das nervt und ob ich Hilfe bräuchte. Er könne die „Gipsies“ sofort auch von hier entfernen lassen, falls ich mich „belästigt“ fühlen würde. Ich brauche seine Hilfe mit Sicherheit nicht, konnte ich dann noch antworten und wie er überhaupt darauf kommen würde, dass ich, wenn ich Hilfe bräuchte, ausgerechnet nun die seinige in Anspruch nehmen würde, wollte ich noch fragen, als sich schon einer meiner Genossen einmischte und den Ordnungshüter zurechtwies:
„Wir regeln unsere Angelegenheiten selbst und Dich braucht hier keiner!“, fegte er den Ordnungshüter dann sofort an.
Und in Windeseile kamen auch gleich noch einige andere Genoss:innen hinzu, die sich um den Ordnungshüter versammelten, laute Lieder sangen und Parolen riefen. Der Bulle blamierte sich völlig und zog wieder ab. Da mussten wir dann laut lachen und feierten fröhlich weiter. Immer wieder gern erinnere ich mich auch an diesen Moment 🙂
Abschließend sei dir nochmal ein freier Raum gegeben: Gibt es etwas, was dir im Interview zu kurz kam? Ein Aspekt, den du noch ergänzen möchtest, oder eine Botschaft an andere?
Ich wünsche allen untergetauchten Genoss:innen viel Kraft und alles Erdenkliche Gute. Mögen Sie immer reichlich Wasser unterm Kiel haben. Allen von Repression Betroffenen, die schon im Knast sind oder sich aktuell auf eine Haftstrafe vorbereiten, wünsche ich Durchhaltevermögen und Kraft für die verbleibende Haftzeit. Wir lassen Euch nicht allein!
Vielen Dank für deine Zeit und das Interview- wir hoffen, deine Worte erreichen noch einige Menschen und helfen uns als Bewegung, die Repressionswellen, die erst recht mit dem Aufschwung der AfD auf uns warten werden, solidarisch aufzufangen. Abschließend wollen wir noch einmal auf die Rote Hilfe e.V. verweisen- sie unterstützten dich und uns in unserer antifaschistischen Arbeit. Werdet Mitglied, werdet aktiv, organisiert euch- Solidarität ist und bleibt unsere stärkste Waffe!
Ich danke auch und wünsche Euch viel Erfolg bei allem, was Ihr anpackt.